Kardiologie Vortrag 2016

 
Prof. Dr. med. Matthias Leschke
Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie
Klinikum Esslingen a. N.
Hirschlandstr. 97, 73730 Esslingen
Tel.: 0711 3103-2401
Fax: 0711 3103-2405
 
Prof. Dr. med. Matthias Leschke ist seit 1998 Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie des Klinikums Esslingen. Er ist u. a. Managing Editor der Zeitschrift „Klinikarzt“ und im wissenschaftlichen Vorstand der Südwestdeutschen Gesellschaft für Innere Medizin tätig sowie Vizepräsident der Medica. Prof. Leschke ist auch Initiatior von Medizin aktuell.
 

Was gibt es Neues zur Antikoagulation?

Aktuelle Daten aus Deutschland zur Häufigkeit des Vorhofflimmerns zeigen, dass wir mindestens 2 Mio. Vorhofflimmer-Patienten haben – mit zunehmender Tendenz aufgrund unserer höheren Lebenserwartung und günstigeren Prognose, die wiederum einer besseren Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen geschuldet ist. Leider gibt es immer noch Patienten, die nicht adäquat mit Antikoagulanzien therapiert sind.
Die Verordnung neuer oraler Antikoagulanzien (NOAKs) nimmt zu Lasten der Vitamin K-Antagonisten (VKA) deutlich zu.
Die NOAKs als Klasse zeigen einen deutlichen Trend zu weniger schweren Blutungen als VKA und bieten außerdem eine bessere Schlaganfallprophylaxe (geringere Häufigkeit hämorrhagischer Schlaganfälle). Mittlerweile gibt es immer mehr Registerdaten, die zeigen, dass die Blutungshäufigkeit in der klinischen Praxis sogar noch niedriger ist als in den Zulassungsstudien. Gesicherten Daten zufolge kann man eine Marcumar-Therapie ohne Bridging 8–10 Tage lang unterbrechen, ohne dass es zu einer Zunahme an Schlaganfällen kommt (Bridging führt zu vermehrten Blutungen). Ausnahme: Patienten mit Vorhofflimmern und mechanischen Herzklappen und mit kürzlich erlittenem Schlaganfall müssen gebridgt werden. Was tun bei antikoagulationspflichtigen Risikopatienten (erhöhtes Blutungsrisiko, Sturzneigung, Niereninsuffizienz, Complianceprobleme)? Für Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit für Blutungskomplikationen gibt es mittlerweile zunehmend bessere Daten dafür, dass die Implantation eines Schirmchens im Vorhofohr (das 80% aller zum Schlaganfall führenden Thromben beherbergt) für solche Patienten eine gute Therapieoption darstellt; eine Antikoagulation erübrigt sich dann. Erste große Register hierzu zeigen, dass es unter dieser Therapie zu einer vergleichbaren Abnahme an Schlaganfällen kommt. Die Patienten müssen nach der Implantation über 3 Monate mit einer dualen Plättchenhemmung versorgt werden und benötigen danach nur noch Aspirin oder Clopidogrel. Fazit: Der Vorhofohr-Okkluder ist eine gute Alternative für ältere Patienten, bei denen eine effektive Antikoagulation aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist.

Vorhofflimmern und Adipositas

Durch eine erfolgreiche Gewichtsabnahme lässt sich einer neuen australischen Studie zufolge die Prävalenz des Vorhofflimmerns um mindestens 50 bis 60% reduzieren, was auf eine Verbesserung des metabolischen Risikoprofils und Abnahme inflammatorischer Parameter zurückzuführen ist. Eine kontinuierliche Gewichtsabnahme von über 10% des Ausgangsgewichts ist mit einer 6-fach höheren Wahrscheinlichkeit eines stabilen Sinusrhythmus verbunden.

Bluthochdruck: 120 besser als 140!

Lange Zeit galt eine medikamentöse Absenkung des systolischen Blutdrucks unter 140 mmHg als ausreichend. Die Ergebnisse der SPRINT-Studie haben nun gezeigt, dass Bluthochdruckpatienten von einer Senkung auf 120 mmHg deutlich mehr profitieren: Im Vergleich zu den Standardtherapie-Patienten, deren Zielblutdruck auf bis zu 140 mmHg eingestellt war, traten im Intensivtherapie-Studienarm (Senkung auf 120 mmHg) um 30% weniger Herz-Kreislauf-Ereignisse wie z.B. Schlaganfälle, Herzinsuffizienz und Herzinfarkte auf. Diese deutliche Abnahme kardiovaskulärer Ereignisse war schon nach 3 bis 5 Jahren zu beobachten. Dieses Ergebnis wird die Leitlinien mit Sicherheit beeinflussen. Auch Metaanalysen anderer neuerer Studien zeigen, dass die Tendenz wieder zu einer Intensivtherapie des Bluthochdrucks (vorzugsweise mit Kombinationspräparaten) geht. Allerdings gilt das Prinzip „120 ist besser als 140“ nur für Bluthochdruckpatienten mit kardiovaskulärem Risikoprofil, nicht aber für Hochdruckpatienten mit KHK und/oder Diabetes mellitus, die durch eine zu hohe Blutdrucksenkung wahrscheinlich nächtliche Myokardischämien entwickeln würden.

Glukose-Paradoxon – endlich überwunden!

Das Erstaunliche an dem SGLT2-Inhibitor Empagliflozin ist, dass er bei Typ-2-Diabetikern hinsichtlich vieler verschiedener Parameter dramatische positive Wirkungen entfaltet: Er reduziert Gewicht und Harnsäurespiegel, erhöht das LDL-Cholesterin, senkt den Blutdruck und die HbA1c-Werte – ohne dass diese vielfältigen positiven Effekte derzeit eindeutig erklärbar wären; der Wirkmechanismus ist unklar (multifunktionell?). Bisherige Studien mit antidiabetischen Therapieprinzipien hatten keine prognostische Verbesserung (allenfalls eine fragliche Verbesserung mit Metformin und Acarbose), sondern häufig eher eine kardiovaskuläre Verschlechterung erbracht. Die EMPA-REG-Studie lieferte nun erstmals Outcome-Daten bei Typ-2-Diabetikern mit dramatischem kardiovaskulärem Benefit. Demnach gehört Empagliflozin zu den antidiabetischen Substanzen mit dem mit Abstand besten kardiovaskulären (KV) Spektrum und sollte vorrangig bei KV Risikopatienten mit Typ-2-Diabetes mellitus eingesetzt werden. Fazit: Diese Substanz gehört in die Hände von Kardiologen!

Lipide: spannender denn je

Sonografische Untersuchungen zeigen, dass sich durch Senkung des LDL-Cholesterins auf unter 75 mg/dl ein Stillstand, ja sogar eine Regression der Koronarsklerose oder des Atheromwachstums erzielen lässt. Damit hat man eine Chance, klinische Ereignisse bei Risikopatienten zu reduzieren. Das hat die IMPROVE-IT-Studie, in der gut eingestellte Patienten mit akutem Koronarsyndrom on top noch Ezetimib zur Senkung der LDL-Cholesterinwerte erhielten, eindeutig belegt. Die Studie belegt: Je tiefer man das LDL senkt (teilweise wurden Werte von 40 mg/dl erzielt), umso besser ist das Outcome der Patienten. Ezetimib hat ein günstiges Sicherheitsprofil und führt nicht zu neurokognitiven Defekten. Auch durch PCSK9-Antikörper lässt sich eine sehr effiziente LDL-Cholesterinsenkung erreichen. Mittlerweile sind 2 monoklonale PCSK9-Antikörper (Evolocumab und Alirocumab) zugelassen, die seit Ende letzten Jahres auch in Deutschland auf dem Markt erhältlich sind und mit denen man eine über 60%ige Cholesterinsenkung erzielen kann. Ein Einsatz dieser Antikörpertherapien ist immer dann zu empfehlen, wenn sich unter maximaler lipidsenkender Therapie nur eine unzureichende LDL-C-Senkung erreichen lässt, außerdem bei Statinintoleranz und Lp(a)-Erhöhung.

Herzinsuffizienz: Jetzt geht’s los!

Der Angiotensinrezeptor-Neprilysininhibitor ARNI (LCZ696), der gleichzeitig eine AT1-Rezeptorblockade bewirkt, verbessert die Durchblutung und führt zu einer Abnahme der Fibrose des Herzmuskels. Die PARADIGM-HF-Studie (ARNI versus Enalapril) musste vorzeitig abgebrochen werden, weil es zu einer hochsignifikanten Abnahme an kardiovaskulären Todesfällen und Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz kam. Diese Substanz ist unter dem Handelsnamen Entresto seit Januar 2016 zugelassen.

Kardiologie ohne Interventionen geht nicht!

Mittlerweile gibt es erste Daten dazu, dass das Outcome bei Patienten mit implantierten Aortenklappen besser ist als bei klassisch chirurgisch therapierten Patienten. So z.B. die 5-Jahres-Daten zur PARTNER-Studie, der Zulassungsstudie für die perkutan implantierten Klappen (vergleichbare Mortalität gegenüber dem klassischen operativen Vorgehen). Eine aktuelle Freiburger Untersuchung belegt, dass bei Patienten über 80 Jahren die Sterblichkeit mit TAVI geringer ist als bei klassisch operierten Patienten. Mittlerweile wird diskutiert, auch bei Patienten mit intermediärem Operationsrisiko das interventionelle Verfahren anzuwenden. Auch die interventionelle Reparatur der Mitralinsuffizienz ist sicher und bewährt und v.a. bei Patienten mit hochgradig eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion eine sinnvolle Therapieoption.