Psychosomatik Vortrag 2015

 

Prof. Dr. Stephan Zipfel

 

Ärztlicher Direktor der Klinik Innere Medizin VI,
Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik Tübingen
Osianderstr. 5
72076 Tübingen

 

 

Der Schwerpunkt dieser Präsentation lag auf dem wichtigen Bereich der Psychoonkologie. Umfragen zufolge ist Krebs mit 73% die meistgefürchtete Erkrankung. Und da die Krebsmortalität gesunken ist, handelt es sich hierbei nicht mehr um ein „Todesurteil“, sondern um eine häufig chronische Erkrankung mit hoher Nebenwirkungsrate und häufigen psychischen Komorbiditäten. Somit kommt der Psychoonkologie ein hoher Stellenwert zu. Rund ein Drittel aller Patienten reagiert auf die Diagnose „Krebs“ und die Therapiefolgen mit Anpassungsstörungen (13%), affektiven Störungen (11%) oder Angststörungen (10%). Diese Patienten benötigen entweder eine Beratung oder (in 10 bis 20% aller Fälle) sogar psychotherapeutische Interventionen. Gerade bei onkologischen Erkrankungen gibt es viele Problembereiche, die zu psychischen Belastungen und zu einem Beratungsbedarf führen können: z.B. praktische, sozialrechtliche, familiäre, spirituelle, emotionale oder auch körperliche Probleme aufgrund der Therapie oder der Primärerkrankung. Bei vielen Patienten kommt es auch zu Körperbildproblemen und sexuellen Schwierigkeiten (Mammakarzinom, Prostatakarzinom). Studien zeigen, dass viele dieser Patienten keine ausreichende Beratung erhalten. Hier gilt es sowohl auf Arzt- als auch auf Patientenseite zahlreiche Barrieren zu überwinden: Patienten widerstrebt es aufgrund der Angst vor Stigmatisierung häufig, über ihre psychischen Probleme zu sprechen, oder sie schämen sich oder wollen nicht noch eine weitere Therapie über sich ergehen lassen. Die behandelnden Ärzte wiederum fühlen sich unsicher, ob sie für solche Probleme auch kompetent genug sind, und sprechen sie daher lieber gar nicht erst an; oder sie haben zu wenig Zeit dafür und achten nicht genügend auf Symptome von Ängsten und Depressionen. Außerdem fehlen gute, umsetzbare Leitlinien. Das ist schade, denn mit einer psychoonkologischen Intervention kann man eine Menge erreichen: Zwar lässt sich die Lebenserwartung dadurch nicht verlängern. Aber man kann die Lebensqualität und das psychische Befinden der Patienten verbessern, sie in ihrer Compliance, ihrer Krankheitsverarbeitung und ihrem Krankheitsselbstmanagement unterstützen. Ferner kann man damit einem Burnout bei Angehörigen vorbeugen, das soziale Beziehungsgefüge der Patienten stabilisieren und ihre soziale und ggf. auch berufliche Reintegration fördern. Auf somatischer Ebene lässt sich u.a. die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern. An den Organzentren im Universitätsklinikum Tübingen werden Krebspatienten mithilfe von Fragebögen und einem psychischen „Belastungsthermometer“ gescreent, um festzustellen, ob sie Unterstützung in der Krankheitsverarbeitung oder eine psychoonkologische Behandlung benötigen. Je nach individuellem Bedarf der Patienten finden dann Beratungsgespräche, Kriseninterventionen oder psychoonkologische Behandlungen statt.
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