Prof. Dr. med. Matthias Reinhard
Chefarzt der Klinik für Neurologie
Klinikum Esslingen GmbH
Hirschlandstraße 97, 73730 Esslingen
Lyse und Thrombektomie
Die systemische Lyse ist bei kleineren Gefäßverschlüssen recht gut wirksam; doch je größer das Gefäß, umso geringer ist die Chance, dieses zeitnah wieder zu öffnen, weil es sich bei diesen Gefäßverschlüssen oft um sehr lange Thromben handelt, die das Lytikum nicht ganz penetrieren kann. In den letzten 5 bis 6 Jahren trat die Thrombektomie ihren Siegeszug an und hat zu einem revolutionären Durchbruch in der Schlaganfalltherapie geführt. Durch die endovaskuläre Therapie bei schweren Schlaganfällen kann die Chance für eine gute Erholung ca. verdoppelt werden.
Auch bei geplanter endovaskulärer Therapie sollte sofern möglich aber immer eine i.v. Lyse direkt (Zeitfenster 4,5 h nach Symptombeginn, im Einzelfall auch später) begonnen werden, da sie bei einem kleinen Teil der Patienten (ca. 10%) auch sehr große Gefäßverschlüsse direkt eröffnen kann und zudem die Bildung von Mikrothrombosen im Gehirn verhindert.
Eine Thrombektomie durch Stent-Retriever (Zeitfenster bis 6 h nach Symptombeginn) kommt nur für ca. 5–10% aller Patienten mit ischämischem Schlaganfall in Frage, nämlich bei:
Verschluss der A. carotis interna oder
Verschluss des Hauptstamms der A. cerebri media.
Diese Patienten sind häufig auch am schwersten betroffen. Die endovaskuläre Therapie sollte in einem erfahrenen Schlaganfallzentrum durchgeführt werden. Ein praktikabler und gut etablierter Weg im Rahmen sog. „Neurovaskulärer Netzwerke“ ist die „Bridging“-Therapie (d.h. direkter Beginn der i.v. Lyse in der erstaufnehmenden Stroke Unit, dann rascher Transport vom regionalen Haus ins Schlaganfallzentrum).
Die i.v. Lyse ist nach wie vor die schnellste und am einfachsten verfügbare Therapieoption, bedarf jedoch wegen ihrer Nachteile einer Weiterentwicklung mit neuen Thrombolytika und Therapieverfahren. So liegt z.B. für die Tenecteplase (Metalyse®) eine Studie mit sehr gutem Ergebnis vor; Phase-3-Studien laufen zurzeit. Ein zukunftsweisendes neues Therapieverfahren könnte die Sonothrombolyse sein.
Embolischer Schlaganfall ungeklärter Ursache (ESUS)
Bei jedem 4. ischämischen Schlaganfall ist keine Ursache zu finden. Ca. 30% dieser Patienten leiden, wie Untersuchungen mit Event-Recordern zeigen, an einem nicht entdeckten Vorhofflimmern. Risikofaktoren für ein Vorhofflimmern als Ursache des ESUS sind u.a. höheres Alter, Diabetes, supraventrikuläre Extrasystolen. Für die Vorgehensweise nach einem ESUS gibt es mehrere mögliche Strategien: Man kann die Patienten generell mit neuen oralen Antikoagulanzien (NOAKs) behandeln (das Risiko für schwere Blutungen ist niedrig), nimmt dabei aber in Kauf, dass möglicherweise nur 30% von der Therapie profitieren werden. Eine zweite, v.a. in Risikogruppen sicherlich sehr sinnvolle Strategie besteht darin, eine verlängerte Suche nach Vorhofflimmern durchzuführen und den Patienten dann ggf. zu antikoagulieren. Man kann jedoch auch beide Vorgehensweisen (Antikoagulation und verlängerte Suche nach Vorhofflimmern) miteinander kombinieren und die Antikoagulation beenden, sobald feststeht, dass der Patient nicht unter Vorhofflimmern leidet. Die beste Vorgehensweise ist derzeit noch ungeklärt.
Prophylaktische OP bei asymptomatischer Carotis-Stenose?
Die Schlaganfallrate bei Carotis-Stenosen sinkt kontinuierlich aufgrund von Fortschritten in der medikamentösen Behandlung, vor allem der breiten Einführung der Statin-Therapie. Auch ein langsamer Progress zum Carotisverschluss verläuft in den allermeisten Fällen asymptomatisch. Die „number needed to treat“ zur Vermeidung eines schweren Schlaganfalls pro Jahr liegt bei der primärprophylaktischen Operation bei 200, dies allerdings auch nur, wenn ein Komplikationsrisiko von unter 3% für die Operation eingehalten wird. Daher ist ein „best medical treatment“ – Statin (LDL < 70 md/dl ideal), ASS, Kontrolle von Blutdruck und Diabetes – die primär sinnvolle Therapie. Ein wichtiges Kriterium ist auch das Alter: Die Benefitphase der Operation beginnt nach 5 bis 10 Jahren, d.h. erst dann hat der Patient das OP-Risiko eingeholt. Man sollte also auch seine Lebenserwartung berücksichtigen. Ein Nutzen der prophylaktischen Operation ist vor allem für die Patientengruppe anzunehmen, die ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle aufweist. Zu dieser Risikogruppe gehören u.a. Patienten mit schlechter hämodynamischer Kompensation der ACI-Stenose (z.B. Nachweis mittels Ultraschalltest) oder einer instabilen Plaque mit sehr rascher Zunahme des Stenosegrades (d.h. mind. 20%/Jahr). Es gilt also, diese Patienten zu identifizieren.