Update Endokrinologie und Diabetologie 2019

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Prof. Dr. med. Stephan Jacob

  • Praxis für Prävention und Therapie
  • Brombeerweg 6
  • 78048 Villingen-Schwenningen

Das BMI-Paradoxon

Es gibt immer wieder Berichte, dass „Dicke“ in Wirklichkeit gar kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben oder sogar länger leben. Mit solchen Berichten werden Ärzte von ihren übergewichtigen Patienten häufig konfrontiert. Neue große Studien zeigen jedoch, dass da leider nichts dran ist: Bei adipösen Menschen ist das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen signifikant erhöht.

Look AHEAD-Studie: Gewichtsreduktion bringt doch etwas!

Die Look AHEAD-Studie, in der über 5000 übergewichtige oder adipöse Diabetes-Patienten zwei Behandlungsgruppen (intensive Lebensstilinterventionen versus allgemeine Gesundheitsberatung) zugeteilt worden waren, hatte keine relevanten Auswirkungen intensiver Lebensstilveränderungen auf die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse nachweisen können. In einer Nachbeobachtung wurden jedoch nun die Therapieresponder analysiert, die am Ende immer noch eine Gewichtsreduktion um 10% hatten – und bei denen war eine signfikante Verbesserung kardiovaskulärer und anderer Endpunkte zu beobachten. Vor allem aber hat eine intensive Gewichtsreduktion um über 10% einen drastischen Effekt auf die Betazelle, die sich dadurch wieder komplett erholen kann! Diese Chance sollte man – v. a. bei neuentdeckten Diabetikern – nicht vertun.
Auch die DiRECT-Studie (2017) hat gezeigt, dass ein Typ-2-Diabezes mithilfe einer drastischen Gewichtsreduktion geheilt werden kann. Die mit Insulinresistenz assoziierte Verfettung des Pankreas ist reversibel. Denn die Betazelle ist eben nicht „kaputt“, sondern hat eine lediglich eine Dysfunktion und kann wieder funktionieren, wenn sie von der Lipotoxizität entlastet wird. Bester Beweis dafür: Diabetes-Patienten haben nach bariatrischer OP bereits nach zwei Tagen keinen Insulinbedarf mehr, obwohl sie noch gar nicht abgenommen haben; dies wäre bei „kaputten“ Betazellen nicht möglich.
Fazit: Auch nach 10 Jahren sind die Betazellen noch nicht zerstört, und der Patient muss nicht auf Insulin eingestellt werden!
Wir haben mit den neuen Antidiabetika, die mittlerweile auf dem Markt sind, ganz andere Möglichkeiten.

NIADs (Non Insulin Antidiabetics): auch gut zur Gewichtsabnahme

Wie können wir einen zweistelligen Gewichtsverlust erreichen?
Hier bietet die bariatrische Chirurgie momentan die besten Chancen; die derzeit auf dem Markt erhältlichen Pharmakotherapien sind nicht so erfolgversprechend. Aber es gibt neue Medikamente, die Anlass zur Hoffnung geben:
Semaglutid (1 x wöchentlich gegeben) bewirkt eine drastische Gewichtsreduktion bis zu 14 Kilo und wird nun in einer 5-jährigen kardiovaskulären Outcome-Studie bei Nicht-Diabetikern getestet. Orales Semaglutid ist in dieser Hinsicht noch wirksamer als subkutan verabreichtes, aber leider in Europa noch nicht zugelassen.
Vielversprechend sind auch die neuen dualen GLP1- und GIP-Antagonisten, mit denen sich ebenfalls innerhalb von 6 Monaten eine drastische Gewichtsreduktion erreichen lässt.
Außerdem wirken sich die NIADs in Studien sehr positiv auf kardiovaskuläre Endpunkte aus. Bei Diabetikern mit kardiovaskulären Erkrankungen muss daher unbedingt ein SGLT2-Hemmer oder GLP1-Rezeptoragonist mit etablierter Wirkung gegeben werden.

SGLT2-Inhibitoren bei Typ-1-Diabetes: Vorsicht!

Die Gabe von SGLT2-Inhibitoren bei Typ-1-Diabetes wird zurzeit in Studien untersucht – bisherige Ergebnisse: sehr wirksam, weniger Blutzuckerschwankungen, gute Verträglichkeit, aber mehr Ketoazidosen (die v. a. bei Patienten mit relativ geringem Insulinbedarf aufzutreten scheinen) – daher: Finger weg! Wir müssen erst noch herausfinden, welche Patienten für eine solche Therapie geeignet sind.

Hier können Sie den Vortrag anhören: