Update Klinik und Differentialdiagnose rheumatischer Erkrankungen Vortrag 2017

 

Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich

Allgemeinarzt, Vorsitzender der
Kreisärzteschaft Esslingen
Hindenburgstr. 55; 73760 Ostfilden

 

 

 

Gicht

Risiko und Stadieneinteilung
Das Risiko, an einer Gicht zu erkranken, ist bei chronischer Niereninsuffizienz und metabolischem Syndrom erhöht. Doch nicht jeder Mensch mit einer Hyperurikämie bekommt auch einen Gichtanfall. Nur 22% aller Menschen mit Serumharnsäurewerten über 9,0 mg/dl erleiden innerhalb der nächsten 5 Jahre einen Gichtanfall.
Es gibt eine neue Stadieneinteilung für die Gicht, die die verschiedenen klinischen Ausprägungsgrade sehr gut widerspiegelt:

  • Stadium A: Asymptomatische Hyperurikämie (die Frage, ob diese medikamentös behandelt werden sollte oder nicht, ist strittig; es gibt erste Daten, die dafür sprechen, dass eine harnsäuresenkende Therapie in Stadium A bei mittelgradiger Niereninsuffizienz den Progress der Nierenerkrankung positiv beeinflussen kann)
  • Stadium B: Mikroskopischer oder bildgebender Nachweis von Uratkristallansammlungen
  • Stadium C: Uratkristallansammlungen mit Symptomen akuter Gichtanfälle
  • Stadium D: Fortgeschrittene Gicht (chronische Gicht, die sich multilokulär an verschiedenen Gelenken zeigt und im Gegensatz zum akuten Gichtanfall zu einer chronischen Arthritis führt, u.U. auch mit Haut- und Nierenbeteiligung)

 

Gichtarthritis: Klinische Symptomatik

  • Akut auftretende Monarthritis mit ausgeprägten lokalen Entzündungszeichen und massiver Schmerzsymptomatik.
  • Das am häufigsten initial betroffene Gelenk ist das Großzehengrundgelenk.
  • In der Rangfolge der Häufigkeit folgen Mittelfuß, Sprunggelenk mit Achillessehne, Kniegelenk.
  • Der Anfall klingt meist nach einigen Tagen wieder ab.

Die chronische Gicht kann mit ähnlichen Symptomen einhergehen wie eine rheumatoide Arthritis. Differenzialdiagnosen einer akuten Gichtarthritis:

  • septische Arthritis (Gelenkinfektion)
  • andere kristall-induzierte Arthritiden, allen voran die Calciumpyrophosphat-(CPP-)Arthritis (Pseudogicht)
  • aktivierte Großzehengrundgelenksarthrose

Es gibt auch eine Gicht mit Manifestationen an der Haut (tophöse Gicht), bei der es bei fortbestehender Hyperurikämie zur Ablagerung von Natriumurat-Depots in Form von periartikulären und Weichteil-Tophi kommt.

 

Gichtarthritis: Diagnose

  • Der Serumharnsäurespiegel muss während eines akuten Gichtanfalls nicht erhöht sein (14,2% aller Patienten im akuten Anfall haben einen Serumharnsäurespiegel < 6 mg).
  • Goldstandard: Nachweis von Natriumuratkristallen in der Gelenkflüssigkeit oder im periartikulären Gewebe durch mikroskopische Untersuchung des Gelenkpunktats.

Wenn eine Gelenkpunktion nicht möglich ist, muss die Diagnose anhand der klinischen Merkmale (Score zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Gichtarthritis siehe Janssen et al., Arch Intern Med 2010; 170: 1120–1126) oder mit bildgebenden Verfahren (Arthrosonografie, Dual Energy-CT) gestellt werden.

 

Polymyalgia rheumatica
Häufigkeit und Erkrankungsalter
Bei der Polymyalgia rheumatica handelt es sich um eine der häufigsten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (Inzidenz: 40–50 Neuerkrankungen/Jahr in Nordeuropa). Sie wird mit zunehmendem Alter häufiger; unter einem Alter von 50 Jahren tritt sie praktisch nicht auf, der Erkrankungsgipfel liegt um das 70. Lebensjahr herum. Jeder 2. bis 3. Patient leidet gleichzeitig auch unter einer assoziierten Vaskulitis.

Diagnostik
Diagnosekriterien nach Bird (1979):

  • Bilateraler Schmerz und/oder Steifigkeit der Schultern
  • Rascher Symptombeginn (innerhalb von 2 Wochen)
  • Initiale BSG > 40 mm n. W. in der ersten Stunde
  • Morgensteifigkeit > 1 Stunde
  • Depression und/oder Gewichtsverlust
  • Beidseitige Steifigkeit der Oberarme

Die Diagnose einer PMR ist wahrscheinlich, wenn drei oder mehr der o.g. Kriterien erfüllt sind. Breite Differenzialdiagnose:

  • rheumatoide Arthritis
  • RS3PE-Syndrom
  • Polymyositis/Dermatomyositis
  • andere Kollagenosen und Vaskulitiden
  • Spondyloarthritiden
  • Cox- und Omarthrose
  • Fibromyalgie-Syndrom
  • Paraneoplastische und parainfektiöse Myalgien

Es handelt sich um eine rein klinische Diagnose (es gibt keine krankheitsspezifischen Antikörper).
Neues gibt es bei der Diagnostik durch bildgebende Verfahren: Man weiß inzwischen, dass v.a. Schleimbeutel und Sehnen betroffen sind. Zwei typische Leitbefunde einer Polymyalgia rheumatica sind die Bursitis subdeltoidea und die Tendovaginitis der langen Bizepssehne. Diese beiden Befunde lassen sich arthrosonografisch sehr gut darstellen. Sie sind auch in die neuen Klassifikationskriterien der ACR/EULAR für eine PMR eingeflossen (Score siehe Dasgupta B et al., Arthritis Rheum 2012; 64; 943–54).

 

Riesenzellarteriitis
Symptomatik
Bei vielen Patienten geht die Polymyalgia rheumatica mit einer Riesenzellarteriitis (RZA) einher. Die RZA wird als Großgefäßvaskulitis klassifiziert. Ihre klinische Ausprägung ist sehr unterschiedlich: Die klassische Manifestation einer RZA ist die Arteriitis temporalis mit temporalen Kopfschmerzen, manchmal auch mit belastungsabhängigen Kauschmerzen (Kauclaudicatio) und Visusstörungen (Amaurosis fugax). Inzwischen wissen wir, dass eine Riesenzellarteriitis auch die Aorta und die aortennahen Gefäße betreffen kann. Bei der extrakraniellen Arteriitis können ganz andere Symptome auftreten: PAVK-Symptomatik der Arme mit Claudicatio, Pulsabschwächung, manchmal auch Rückenschmerzen.
Klinische Leitbefunde:

  • druckdolente Arteria temporalis
  • bei extrakranieller Arteriitis:
    • Blutdruckdifferenz rechts/links
    • Pulsabschwächung
    • Strömungsgeräusche

 

Folgen einer Arteriitis peripherer Gefäße bei RZA

  • Zerebrale Ischämie oder TIA (Inzidenz: 4–6%; auch unter laufender Steroidtherapie möglich)
  • Visusverlust (komplett/partiell) (Inzidenz: 15–20%)
  • Claudicatio intermittens/periphere Ischämie

 

Aortitis bei RZA
Wenn nur oder überwiegend die Aorta betroffen ist, treten wiederum andere Symptome auf: Diese Patienten leiden häufig unter Fieber unklarer Genese, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit. Auch bei solchen Symptomen sollte man an eine Riesenzellarteriitis denken; denn wenn man diese übersieht und die Aortitis über Jahre fortläuft, treten irgendwann strukturelle Veränderungen auf: Das Risiko eines Aortenaneurysmas im Thoraxbereich ist dann z.B. bis zu 17-fach erhöht. Patienten mit einer Aortitis bei RZA haben eine schlechtere Prognose (5-fach erhöhte Mortalität im Vergleich zu Patienten ohne Aortitis).

Diagnostik bei RZA
Labordiagnostik:

  • BSG und CRP erhöht
  • Keine krankheitsassoziierten Autoantikörper

Wichtig für die Diagnostik: Farbduplexsonografie der Arteria temporalis

  • Sensitivität und Spezifität über 90%
  • Kann bei typischer Klinik und eindeutigem Befund die Biopsie ersetzen. (Die beim letzten Rheumakongress in den USA vorgestellte TABUL-Studie, die diese beiden diagnostischen Verfahren bei 400 Patienten miteinander verglich, zeigt, dass die Sonografie ebenso gut ist wie die Biopsie.)

Das MRT eignet sich v.a. für die Stenosediagnostik; die Sensitivität des MRTs ist bei der RZA nicht ganz so gut, daher ist die Methode der Wahl heute das PET-CT (sensitivstes diagnostisches Verfahren zum Nachweis einer extrakraniellen RZA).

 

Zusammenfassung
Gicht:

  • Standard: typische Klinik + Kristallnachweis im Gelenkpunktat
  • Bei unklarer Diagnose: Bildgebung (Sonografie/DECT)

 

Polymyalgia rheumatica:

  • Sonografie: Bursitis/Tendovaginitis

 

Riesenzellarteriitis:

  • Farbduplexsonografie ersetzt Biopsie
  • PET-CT bei V.a. extrakranielle Manifestation